Wertschätzende Klarheit

Lesezeit: 8 min.

In meiner Vergangenheit war ich immer diejenige, die zu spät kam - egal wo. Das war schon in der 1. Klasse so. Ich hatte gefühlt den kürzesten Schulweg von allen, wirklich nur 3 min., und ich war IMMER die Letzte, diejenige, die mit viel Scham in den Unterricht geplatzt ist. Irgendwann gewöhnte ich mich an dieses Gefühl, tatsächlich erlebte ich auch Freude dabei, kurz im Mittelpunkt zu stehen - und zwar jeden Tag.

Diese tiefsitzende Gewohnheit war dann Teil meiner Persönlichkeit. In Deutschland belegt man dieses Zuspätkommen allerdings mit Respektlosigkeit, Unzuverlässigkeit und Unfokussiertheit, was mich vor allem in meinem beruflichen Alltag extrem nervte. Ich bewertete dann die Anderen als spießig und ungeduldig, weil ich es so schwer fand, es zu verändern. Dann musste ich es mir leicht machen und es auf mein Umfeld abwälzen. Ich dachte mir: “Wer es wirklich ernst mit mir meint, der akzeptiert das.” Auf jeden Fall provozierte ich enorm viele Menschen und fand daran auch Freude, um ehrlich zu sein. Ich zog also alle Vorteile aus dieser Gewohnheit und ging meinen Weg stumpf weiter.

Dennoch versuchte ich alles mögliche, um diesem Muster zu entkommen, was ich alles sehr anstrengend fand. Ich kam nicht auf den Grund, warum ich wirklich ständig zu spät kam.

Ich habe Angst, dass ich mich verlasse.

Im Laufe meiner Bewusstseinsentwicklung und ganz konkret während meiner Coaching-Ausbildung deckte ich dieses Muster auf. Ich reiste tief in meine inneren Gefilde und entdeckte den Glaubenssatz: “Ich verliere den Kontakt zu mir, wenn ich in die Welt voller Reize trete”. Deswegen kam ich nicht in die Hufen. Ich hatte Angst, dass ich mich verlasse.

Seitdem ich das weiß, nehme ich immer feiner die Momente wahr, wann ich mich verlasse, sprich in die Energiefelder anderer einsteige. Ich tue das einfach als feinsinniger Mensch und in der Funktion als Reflektorin, die anderen den Spiegel vorhalten soll. Dieses bewusste Erleben vom Aussteigen, diese Erkenntnis darüber, warum ich es tue, hat in mir eine große Wende initiiert. Ich fing an, mich abzugrenzen. Was für mich wahnsinnig schwer war, plötzlich den Rückwärtsgang einzulegen. Denn die Gefahr ist (weiterhin), dass ich aus Gruppen und aus Situationen rausfalle, nicht mehr Teil vom Ganzen bin und (im Worstcase) vereinsame.

Der innere Ruf nach Abgrenzung war aber nun so stark, dass ich es tatsächlich immer öfter einleitete. Ich spürte es in Wellen - also immer wenn ich einen großen Entwicklungsschritt machen sollte oder wollte, schloss ich verstärkt meine Tore und zog mich raus. Manchmal wirklich radikal. Natürlicherweise wie eine Raupe, die sich entschied nun zum Schmetterling zu werden.

Ich spüre in letzter Zeit verstärkt, dass ich tatsächlich keine Wahl mehr habe, ob es passiert, da ich mich für meine Entwicklung radikal entschieden habe. Ich gebe mich der Veränderung nun hin, ansonsten schmerzt mein Körper. Die Seele sucht sich halt einen wirksamen Weg aus, wenn es nicht weiter fließt :)

Geht das auch weicher?

Die Herausforderung an Veränderung ist, dass man von dem einen Extrem ins andere geraten kann. Ich war also nicht mehr die liebe, offene, zugewandte Kathi, der man alles erzählen konnte und die bis zum Schluss blieb und Dinge mitmachte, obwohl es schon ein inneres Nein gab. Sondern ich kam gar nicht erst zu einer Verabredung, ich grenzte mich mit fiesen, treffenden Aussagen ab, ich war nicht mehr greifbar, am liebsten verließ ich schneller die Menschen, Räume und Orte, als dass etwas auf mich länger einwirken konnte. Ich hatte nicht gelernt, mich wertschätzend abzugrenzen. Ich kannte gar keine Worte dafür :D Krass oder?!

Ich bemerkte das. Vor allem, weil mir mutige und bewusste Menschen mitteilten, dass sie das gerade verletzt hat und sie das Gefühl haben, dass ich weglaufe statt mich dem zu stellen. Dann wusste ich erstmal nicht weiter. Wie geht denn das verträglicher?

Ein ständiger Forschungsraum

Ich befand mich (und befinde mich) in einem ständigen Forschungsraum. Mittlerweile hat sich mein Wortschatz erweitert, mittlerweile bin ich oft gescheitert und habe direkt daraus gelernt. Es gibt Menschen um mich, die das gut halten und mir direkt widerspiegeln können - die von meinem Forschungsauftrag wissen sozusagen. Und mittlerweile brauche ich immer weniger Abgrenzung, sondern äußere frühzeitig klar meine Bedürfnisse - möglichst wertschätzend. Sprich: ich bemerke eine Grenzüberschreitung, halte inne, zentriere mich und erhebe dann meine Stimme sehr klar. Immer noch irritiert es Menschen. Einige werden so unsicher, dass sie entweder einen Witz machen oder mir einen Spruch drücken. Und ich versuche in Kontakt zu bleiben und zu benennen, was ich wahrnehme - möglichst wertschätzend. Das klappt nicht immer - und ich entschuldige mich nicht mehr dafür, sondern erwähne, dass ich dabei bin, es sanfter zu gestalten und ich nicht vorhabe, jemanden zu verletzen. Mich da so wahrhaftig zu zeigen und verletzlich zu machen hilft sehr.

Die Folge wertschätzender Klarheit

Nach oder mit dem radikalen Commitment kommt scheinbar die wertschätzende Klarheit.

Zum Einen bringt diese Art und Weise sehr viel Ordnung in mein Leben. Siehe da: ich bin mittlerweile nahezu 0% unpünktlich, eher im Gegenteil. Die Veränderung der inneren Haltung und das Wissen darum, dass ich mich immer wieder für den Kontakt mit mir entscheide, haben also alles gedreht. Meine Klarheit wird geschätzt, ich bin greifbarer, wirke kompetenter, geerdet und mit einem klaren Ziel vor Augen. Ja, so ist es! Ich erhalte mehr Aufträge als jeher, mehr Menschen wollen mich erleben und dafür Geld zahlen. Also: natürlich erfolgreich für mein Business.

Zum Anderen: Diese Klarheit ist ein enormer Transformationsschub. Die Reifungszeit von der Raupe zum Schmetterling hat sich also verkürzt. Dementsprechend kann es vorkommen, dass nahe Menschen plötzlich nicht mehr mitkommen und dass ich ein Stück des Weges alleine gehe. Da ich weiß, dass neue Menschen schneller in mein Leben kommen als ich denken kann, kann ich da mittlerweile recht gut mit sein, bei gleichzeitiger Traurigkeit über den Abschied. Es ist immer noch etwas holprig, aber wahrscheinlich sind Abschiede das einfach auch. Ich habe mir dieses Wachstums-Phänomen bislang nicht eingestanden. Ich hatte mich aber immer schon gefragt, warum ich nicht ein festes Netzwerk von Freunden (wie meine Geschwister das pflegen) um mich finde und hatte mich als “schwierige Freundin” bezeichnet.

Laut Heike Pourian ist das der größte Hemmer, warum Menschen diesen Übergang ins Neue nicht tun. Sie haben Angst alleine zu sein. Und da wir Verbindung zum (Über)Leben brauchen, nagt dieser Schritt ins Ungewisse an der Existenzangst. Nur das erlebte Wissen darum, dass bislang immer neue Menschen auf der neuen Frequenz, der neuen Bewusstseinsebene, dazu gekommen sind, macht es für mich so attraktiv.

Ich bin pure Veränderung und ich lebe mittlerweile mit den Konsequenzen sehr gut, weil ich direkt spüre, dass dieser Schritt mich nährt und für Lebendigkeit sorgt und auch: zum großen Wandel beiträgt. Es braucht enorm viel Mut. Ich brauche enorm viel Mut. Diesen hat mir definitiv meine Angst geschenkt :)

Auf meinem Weg derart zu wandeln ist die pure Wertschätzung mir selbst gegenüber. Mein steigender Selbstwert macht sich im Außen bemerkbar. Ich gestalte (meine) Welt von innen heraus. Das ist klar wie Kloßbrühe ;)

Katharina Frilling

coaching & facilitation

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